Ausprobiert: S-Pedelec

Ausprobiert: S-Pedelec

Der folgende Beitrag kann als eine Art Nachtrag gesehen werden. Er wurde im Frühjahr 2016 geschrieben, lag bei uns jedoch einige Zeit auf Halde.

Berlin ist die Stadt der weiten Wege, zumindest für viele von uns – Wohnung in Schöneberg, Freunde in Friedrichshain, Büro in Wilhelmsruh. Gerade beim täglichen Weg ins Büro stellt sich immer wieder die Frage nach dem besten Verkehrsmittel für die rund 13 Kilometer. Die öffentlichen Verkehrsmittel sind mit vollgetopften Zügen und unsteten Fahrzeiten (Ringbahn + Winter = Totalausfall) eher anstregend, ein Auto müsste erst angeschafft werden und das Rennrad sorgt für verschwitzte Klamotten mit allen olfaktorischen Nebenwirkungen. Daher sollte ausprobiert werden, ob ein S-Pedelec eine Option ist und wie es sich im alltäglichen Verkehrsgewusel schlägt.

Also beim pressedienst-fahrrad angefragt, ob ein Testrad zur Verfügung steht und wenige Tagespäter stand von Riese & Müller ein blueLabel Charger GT45 vor der Tür. Nach ein paar Handgriffen ging es auf die erste kleine Patroullie und gleich etwas zu ambitioniert in die erste Kurve. Fast unbemerkt waren 35 – 40 km/h erreicht. Das Ergebnis der ersten kleinen Testrunde war ein breites Grinsen. Das Rad macht einfach Spass.

Es lädt ein, um durch den Kiez zu räubern. Die Sitzposition ist angenehmm und ausgewogen. Trotz des Gewichts von knapp 25 kg und der Größe geht es behende um Kurven. Der Bosch-Motor bietet Unterstützung in fünf Stufen, allerdings macht nur die höchste Stufe Spass. Die beiden Stufen darunter sind eher als Range-Extender zu verstehen, wozu die beiden niedrigsten Stufen in der Praxis dienen, erschließt sich nicht. Die Bedienung ist intuitiv; die Reichweitenanzeige punktgenau. Also keine Gefahr unerwartet saft- und kraftlos zu stranden. Einziger Wermutstropfen: in der höchsten Stufe stehen auf dem Display schmale 28 km Reichweite.

Schon mal keine schlechten Voraussetzungen für den täglichen Ritt ins Büro. Allerdings ist vorab noch anzumerkern, dass der Gesetzgeber den schnellen E-Bikes einige Auflagen auf den Weg gibt – ein Helm ist Pflicht, ein Spiegel muss auch sein, Radwege sind innerorts tabu, Kennzeichen und Versicherungspflicht etc.pp. Mehr dazu findet ihr hier. Die Strecke beginnt im Schatten des Schöneberger Rathauses und endet in Wilhelmsruh auf der Hauptstraße (hier die google-Ansicht). Knappe 13 km mit 36 Ampeln auf dem Hin- und derer 38 auf dem Rückweg. Mit dem Rennrad beträgt die Fahrzeit ca. 45 min, Nettofahrzeit ca. 32 min womit gute 30% der Gesamtfahrzeit an roten Ampeln verbracht werden. Soweit die reinen Eckdaten.

Natürlich wird brav und regelkonform gefahren, womit zwei kleine short-cuts wegfallen und zwei Ampeln mehr auf dem Progamm stehen. So geht es kurz nach 8 Uhr auf die Martin-Luther-Str. Richtung Goldelse. Die Komfortzone zwischen flotten Vorankommen und Transpirationsvermeidung pendelt sich bei 30-35 km/h ein. Entspannt lässt es sich von einer grünen Ampel zur nächsten rollen, allerdings nur bis zu Kreuzung Kleiststrasse. Hier endet die Busspur und der Radweg ist tabu. Der Verkehr ist hier ziemlich dicht und schnell, was bei einigen Verkehrsteilnehmern sichtlich zu kognitiver Überforderung führt. Aber furchtlos geht es weiter auf der Straße bis die Goldelse umrundet werden will (für alle Ortsunkundigen: fünfspuriger Kreisverkehr, der die meisten Auswärtigen Blut und Wasser schwitzen lässt). Sich mit dem Fahrrad – auch wenn es ein schnelles ist – hier ins Getümmel zu stürzen, kann man machen, aber es gibt durchaus angenehmeres. Der Rest der Route ist unaufgeregt, meist geht es geradeaus und nach 38 min ist das Ziel erreicht.

In den kommenden Tagen pendelt sich die Fahrzeit bei ca. 35 min ein und das Radwegeverbot ignorieren wir an einigen Spots einfach. Im Ergbnis 10 min gespart und deutlich entspannter angekommen. Die Zeitersparnis im Vergleich zum Rennrad liegt nicht so sehr in der höheren Geschwindigkeit. Wer die Ampelschaltungen seiner Route kennt, kann mit dem S-Pedelec entspannt durch die grüne Welle surfen. Im Schnitt reichen dafür 32 – 34 km/h. So weit, so gut. Allerdings gibt es auch Tage an denen mit steter Regelmäßigkeit Termine im Prenzlauer Berg und in Moabit anstehen, womit auch mal 40-50 km auf dem Plan stehen. Hier stößt das Rad an sein Limit. In der höchste Fahrstufe sind die 28 km nicht ausreichend, eine Stufe darunter werden es zwar rund 10 km mehr allerdings ist die Komfortzone, um nicht zu schwitzen eher bei 25-30 km/h. Die dritthöchste Stufe ist schon kein Gewinn mehr (aus der Perspektive eines Rennradfahrers).

Was im Alltag eher unangenehm aufiel, war der mit 73cm ziemlich breit ausgefallene Lenker, der mit dem Lenkerendspiegel fast einen Meter breit wurde. Für das Handling, vor allem für wenig versierte Fahrer_innen, super, sind viele Lücken, durch die das Rennrad passen würde, plötzlich zu schmal. Das gilt vor allem auch für schmale Haus- oder Kellertüren, wenn das gute Stück nicht draussen parken soll. Der Spiegel – vom Gesetzgeber vorgeschrieben – ist völlig sinnlos. Es ist schlicht nichts sehen. Was sehr gut gefiel, waren die üppig dimensionierten Schwalbe Moto X Reifen sowie die Fox-Federgabel, die es erlaubten auch über größerer Kanten gedankenlos drüber zu bügeln. Der Geschwindigkeitsbereich um 35 km/h empfanden wir als sehr angenehm – nicht zu anstrengend, nicht zu schwitzig. Ab 40 km/h ist der Fahrer deutlich mehr gefordert, die 45 km/h sind schon Sport.

Insgesamt sind S-Pedelecs erwachsene Verkehrsmittel, die nicht nur ihre Berechtigung haben sondern auch eine Menge Spass bieten. In einigen Punkten muss der Fahrer bereit sein sich umzugewöhnen. Neben der Helmpflicht und dem Radwegeverbot müssen nun auch Tempo 30 Zonen im Blick sein, und im Winter wird es mit höherer Geschwindigkeit auch merklich kälter an Kopf und Händen. Für den täglichen Weg ins Büro sind S-Pedelecs gute Alternativen. Gerade für Berliner Distanzen wäre etwas mehr Reichweite wünschenswert, für eine bummelige Biergartentour nach dem Büro.

Ein großer Dank geht an den pressedienst-fahrrad und an Riese & Müller für die Bereitstellung des Testrades.

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